Manipulierte Diagnosen: Wie sie Patienten zum Verhängnis werden

    05.06.2019
  • Lesezeit ca. 3 Minuten
Ärztin mit Pflegern und Patientin
© Yuri Arcurs/de.fotolia.com

Wer einen Arzt aufsucht, legt seine Gesundheit in vertrauenswürdige Hände. Beschwerden werden untersucht, eine Diagnose wird gestellt und die Behandlung eingeleitet. So weit, so gut. Doch was, wenn der Arzt mit der Diagnose übertreibt, um mehr Geld zu erhalten? Für Patienten kann das böse enden.


Manipulierte Diagnosen tauchen häufiger auf, als die meisten wissen. Eine Studie der Universität München aus dem Jahr 2018 hat ergeben, dass viele Ärzte ihre Patienten kränker darstellen, als sie sind. Und die Krankenkassen haben dabei ihre Finger im Spiel.

80 Krankheiten, die mehr Geld bringen

Grund dafür ist vor allem der sogenannte „morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich“. Seit 2009 erhalten Krankenkassen einen Ausgleich für Versicherte, die unter einer von 80 ausgewählten Krankheiten leiden. Für Versicherte, die dementsprechend besonders teuer in der Behandlung sind, erhalten die Krankenkassen mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds. Ursprünglich soll diese Regelung dafür sorgen, dass Krankenkassen mit überdurchschnittlich vielen kranken Mitgliedern finanziell entlastet werden.

Zu den ausgewählten Krankheiten gehören zum Beispiel bestimmte Krebserkrankungen, Diabetes, Hämophilie (Bluterkrankung) oder Depressionen. An der Universität München hat man sich die Frage gestellt, ob seit 2009 eben diese Krankheiten häufiger diagnostiziert wurden als zuvor. Um das herauszufinden, werteten die Autoren der Studie 1,2 Milliarden Diagnosen aus den Jahren 2008 bis 2013 aus. Das Ergebnis: Die Häufigkeit der Diagnosen, für die es im Rahmen des Risikostrukturausgleichs mehr Geld gibt, ist seit der Reform 2009 überproportional gestiegen.

Absprachen zwischen Krankenkassen und Ärzten

Die Autoren betonen, dass aus ihrer Studie nicht eindeutig hervorgeht, ob und wie die Krankenkassen den Anstieg der Diagnosen beeinflusst haben. Schon im Jahr 2009 waren allerdings Fälle bekannt, in denen Krankenkassen Geld an Ärzte zahlten, damit diese die „richtigen“ Diagnosen stellen. Seit April 2017 sind solche Absprachen gesetzlich verboten. Dennoch gibt es Schlupflöcher. Eine Umfrage der Techniker Krankenkasse hat ergeben, dass Kassen immer noch versuchen, Diagnosen zu beeinflussen.

Große Nachteile für Patienten

Vielen Patienten mag es zunächst irrelevant erscheinen, was genau der Arzt in die Patientenakte einträgt. Oft kommt es sogar vor, dass Arzt und Patient sich absprechen, damit der eine mehr Geld und der andere eine bessere Behandlung erhält. Solche Abrechnungsdiagnosen sind aber tückisch. Denn für den Patienten können sie auch Jahre später noch zum Verhängnis werden. Zum Beispiel, wenn er eine Versicherung rund um Leben und Gesundheit abschließen will. Dazu gehören unter anderem:

  • Private Krankenversicherung
  • Private Pflegeversicherung
  • Berufsunfähigkeitsversicherung
  • Kapitallebensversicherung
  • Risikolebensversicherung
  • Sterbegeldversicherung
  • Zahnzusatzversicherung

Angenommen, eine falsche Diagnose wurde in die Patientenakte eingetragen. Der Patient ahnt davon nichts oder empfindet es als unwichtig und möchte Jahre später eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen. Er stellt einen Antrag und muss Gesundheitsfragen beantworten, damit die Versicherung das Risiko und die Beitragshöhe ermitteln kann. Der Antragsteller muss ausführliche Informationen über seinen aktuellen Gesundheitszustand, vergangene Krankheiten, Behandlungen und Arztbesuche geben. Meistens müssen solche Angaben für die letzten drei bis fünf Jahre gemacht werden. Versicherungen haben unter Umständen auch das Recht, beim Arzt des Antragstellers nachzufragen. Dieser berichtet, was in der Patientenakte steht. Die schwere Diagnose hat der Patient nicht angegeben, weil er entweder nichts davon wusste oder die damalige Absprache vergessen hat. Das Ergebnis: Die Versicherung bewertet das Risiko des Patienten höher, als es in Wirklichkeit ist. Dadurch werden die Beiträge deutlich teurer. Es kann sogar dazu kommen, dass der Antrag abgelehnt wird, weil das Risiko für die Versicherung zu hoch ist. Selbst wenn die manipulierte Diagnose bei Vertragsabschluss nicht auffällt, ist der Patient immer noch nicht auf der sicheren Seite. Er hat dann eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen und zugesichert, dass er bei den Gesundheitsfragen wahre Angaben gemacht hat. Wird er dann Jahre später berufsunfähig und es stellt sich nach erneuter Prüfung heraus, dass falsche Angaben gemacht wurden, wird es teuer. Die Versicherung kann Leistungen verweigern, Leistungen zurückfordern, Beiträge erhöhen oder vom Vertrag zurücktreten.

Kostenlos herunterladen: Ratgeber zum Thema Gesundheitsfragen

Wichtig: Patientenakte checken

Jeder hat ein Recht darauf, seine Patientenakte einzusehen oder Kopien davon zu verlangen. Von diesem gesetzlichen Anspruch sollten Patienten Gebrauch machen, wenn sie eine Versicherung mit Gesundheitsfragen abschließen wollen. Die Patientenakte hilft nicht nur dabei, Gesundheitsfragen wahrheitsgemäß zu beantworten und Erinnerungslücken zu füllen. Sie kann im gleichen Zuge auch auf falsche Diagnosen geprüft werden. Patienten können ihren Arzt dann um Korrektur bitten. Es bietet sich unter Umständen auch an, schon während des Arztbesuchs zu fragen, welche Diagnose in der Akte notiert wird. Mehr zum Thema lesen Sie hier.

Dieser Artikel hat Ihnen gefallen?

Dann freuen wir uns über eine Bewertung!

Ø 4,8 / 5 Sternen aus 19 Meinungen

Gut gezielte Tipps, die nicht jeder kennt!

Abonnieren Sie jetzt unseren Newsletter